
Weit breitet sich die Landschaft vor uns aus, die Getreidefelder haben ihr lichtes Gelb in kahle Stoppeln verwandelt und der Himmel zeigt sein schönstes Türkis. Das, was lange gehegt wurde, war reif zur Ernte und füllt nun die Kornkammern für den Winter. Der Hochsommer hat seinen Zenit überschritten und wir ahnen Abschied und Wandlung. In den Überlieferungen alter Kulturen finden wir wunderbare Gleichnisse, Feste und Traditionen, die uns den Kreislauf des Lebens widerspiegeln. So symbolisiert zum Beispiel das Schnitterinnenfest, das Mitte August gefeiert wird, neben der Ernte auch den Schnitt nach einer Lebensphase des Reifens. Was geerntet werden musste, wurde geerntet. Die Schnitter - Göttin wurde in alten Traditionen auch „Tödin“ genannt und oftmals mit einer Sichel dargestellt. Bis heute gilt die Sichel als Symbol des Todes und des Abschieds. Die Umwandlung jedoch ist immer eine fruchtbare. Denn aus dem geschnittenen Getreide entsteht Brot und Nahrung für den Winter.
In den matriarchalen Kulturen steht das Schnitterfest und der darauffolgende Erntedank für den Übergang ins „Schwarze Land“, nicht nur im Kreislauf der Natur, sondern auch im Reifeprozess unseres Menschseins. Diese Feste markieren einen tiefen Einschnitt im Leben einer Frau. Zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr ist der zweite große Lebenszyklus vollendet, die Kinder sind erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Das bedeutet Schmerz und Entlastung gleichermaßen. Wenn jetzt Enkelkinder in das Leben kommen, wird die Frau zur Großmutter, zur Großen Mutter. Ihre sozialen Pflichten werden weniger und sie betrachtet ihr Leben zunehmend mit einer gewissen Gelassenheit. Innerlich freier kann sie nun in neue Räume aufbrechen, die eher kreativer oder geistiger Natur sind. Die Leidenschaften und Wünsche werden weniger und sie wird im Prozess des Alterns der Endlichkeit ihres eigenen Körpers mehr gewahr. Vielleicht ändern sich auch die Liebesformen und der Ausdruck ihrer Sexualität in ein ruhigeres Erfüllt- und Sich-genug-Sein. Das Gestalten und Aufbauen, das Hegen und Nähren, weicht nun einer Lebensphase der Ernte - dessen, was sie geschaffen hat. Dazu gehört auch die Freude an der Fülle des Daseins, das Betrachten ihrer Schätze, die Trauer um Verlorenes und die Ehrfurcht vor dem Leben. Die Frau verändert sich nicht nur äußerlich in dieser Zeit. Es wird auch stiller in ihrem Geist, Weisheit färbt ihre Worte und für manchen Hilfesuchenden weiß sie guten Rat, den sie aus ihren tiefen Erfahrungen schöpft.
Ob wir nun Männlein oder Weiblein sind, ob wir in dieser oder einer anderen Phase unseres Lebens angekommen sind, so kann uns doch diese Zeit einiges lehren. Denn alles ist ein Gleichnis und miteinander verbunden. Wir könnten uns jetzt fragen:
Welche Früchte hat meine Arbeit/mein Leben bisher getragen? Was habe ich gedeihen lassen und wofür möchte ich es jetzt nutzen? Was muss ich vielleicht gehen lassen, damit Raum wird für eine größere Freiheit? Wofür bin ich dankbar? Habe ich gesät, was ich geerntet habe? Welche Geschenke erwachsen aus meiner Ernte?
Wir können nun bewusst den Duft des beginnenden Herbstes wahrnehmen, im goldenen Licht der tiefer stehenden Sonne baden, die ersten Zugvögel von dannen fliegen sehen, Früchte des Waldes sammeln und dankbar Abschied nehmen von einem vollen, reichen Sommer. Im Innen und im Außen.
Im Altweibersommer spinnen die weisen Frauen ihre Fäden. Der Tau aus den kühlen Nächten verfängt sich in ihnen und zaubert wundersame Muster zwischen roten Beeren und sich langsam färbenden Blättern. Sie erzählen Geschichten aus dem Gewebe des Lebens, das sich in Kreisen bewegt, vergeht und ewig wiederkehrt.
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Monika (Samstag, 06 September 2025 11:26)
Eine wohltuende Betrachtung ..
Danke liebe Frauke�