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"Ich will aber.../nicht!" Die Entdeckung des Willens - Kinder im Trotzalter

Ohrenbetäubender Lärm. Ihr Kind liegt mit hochrotem Gesicht auf dem Boden, strampelt, heult und schlägt um sich. Mitten auf dem Gehweg, vor der Supermarktkasse und in jeder anderen unpassenden Situation. Es zetert, es stampft, es bleibt steif stehen, während Sie in Eile sind und weiterwollen. Es schmeißt Schuhe und Jacke in die Ecke und ist außer sich vor Zorn. Es hämmert mit seinen Fäusten gegen Sie und schreit in höchster Verzweiflung „Neeeiiin! Blöde Mama, blöder Papa!“ …..Sie kennen das? Dann sind Sie mitten in einer großen Herausforderung - der Trotzphase Ihres Kindes! Die gute Nachricht ist – und Sie wissen es bestimmt auch schon: das ist normal und es geht vorüber. Auch wenn es Sie und Ihr Kind an Ihre Grenzen bringt.

 

Um welche Grenzen geht es da? Wie meistert man diese Zeit? Was geht eigentlich in Ihrem Kind vor? Was braucht es und was brauchen Sie als Eltern, um diese Entwicklungsphase ohne größeren Schaden zu überstehen? Und was kann Gutes aus Trotz und Widerstand entstehen? Diesen Fragen gehen wir hier mal auf den Grund.

 

Es bietet sich an, erst einmal die Begriffe Trotz und Wut zu definieren.

 

Was ist Trotz?

Trotz wird allgemein als eine Abwehrreaktion beschrieben, oft verbunden mit Gefühlsausbrüchen und/oder dem Abbruch der Kommunikation. Besonders häufig ist er in der Phase wachsender Autonomie und dem stärker werdenden Selbstbehauptungswillen von Kindern zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr anzutreffen.

 

Was ist Wut?

Per Definition ist Wut eine impulsive und aggressive Reaktion auf eine Kränkung oder eine andere, als unangenehm empfundene Situation. Das kann zum Beispiel auch ein Gefühl der Bedrohung oder ein Gefühl der Hilflosigkeit und Unsicherheit sein. Äußerungen von Wut sind meist leidenschaftlich bis hin zur Raserei. Wut ist heftiger als Ärger und schwerer zu beherrschen als Zorn. Der Verlust der Kontrolle und Beherrschung ist ein typisches Merkmal der Äußerung von Wut. Man ist quasi außer sich.

 

Wir alle empfinden von Zeit zu Zeit Wut – und es spielt dabei keine Rolle, ob sie gerechtfertigt ist oder nicht. Sie taucht auf. Wir reagieren auf etwas, was wir als ungeheuerlich empfinden. Unabhängig von einer tatsächlichen Bedrohung und ganz unserem Temperament entsprechend, das so verschieden ist, wie wir Menschen selbst. Einer wirft mit Gegenständen, ein anderer schreit, dass die Wände wackeln. Manch einer schlägt um sich, ein anderer knallt die Tür und verstummt. Allen gleich ist eine Gemütslage des Affektes, der sich unserer Kontrolle entzieht.

 

Es gibt konstruktive Wut.

Ihr liegt die vehemente Verteidigung einer Grenze zugrunde. Jemand ist uns zu nah gekommen, hat uns (körperlich oder seelisch) verletzt, hat uns ignoriert oder abgewertet. Dann müssen wir das klären. Wir müssen zeigen, was wir empfinden. Und das deutlich. Je klarer wir uns artikulieren können und umso weniger wir dabei gewalttätig sind, umso besser. Dafür brauchen wir Mut. ( Mut und Wut unterscheiden sich übrigens auch im Schriftbild nur durch einen umgekehrten Anfangsbuchstaben/-impuls.... )

 

Wenn es uns gelingt, offen zu kommunizieren, was uns schmerzt, ohne den Filter von Moral und Unterdrückung, kann eine echte, förderliche Konfrontation und auch Klärung geschehen. Im besten Fall entsteht dadurch Respekt und Wertschätzung. Und natürlich lebendige Nähe. Doch ein konstruktiver Umgang mit Wut will gelernt sein. Unsere eigene Erziehung, Prägung und Kultur spielen eine große Rolle in der Fähigkeit, einen gesunden Umgang mit Aggression an unsere Kinder weitergeben zu können.

 

Destruktive Wut

Der Name sagt es schon: sie hat einen zerstörerischen Charakter. Sie kommt zum Vorschein, wenn wir sehr lange unterdrückt haben, was wir fühlen. Wenn wir keinen Ausdruck dafür gefunden haben, sie in uns gehalten haben, bis sie die Sprengkraft einer Atombombe angenommen hat. Ein 'nicht wissen wie', ebenso wie keine Vorbilder haben oder eine mangelnde Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Würde und Wert kann dabei in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt haben. Das Blind-Wüten und Zerstören scheint dann oft der letzte Ausweg einer lange zusammengepressten Emotion.

 

Doch was geht nun in einem Kind bei einem Trotzanfall vor?

Erst seit der neueren Zeit weiß man, dass die Entwicklung eines Ich-Gefühls bestimmte Phasen durchläuft. In diesem Werden begegnet jedes Kind (und jeder begleitende Erwachsene ) einem Konflikt. Dem zwischen dem eigenen Willen und dem eines anderen. Dem Konflikt zwischen den eigenen Grenzen und denen des anderen.

 

In früheren Generationen wurde diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Willen auf mehr oder minder rabiate Weise unterdrückt oder sogar bestraft. Heute ist man klüger. Man erkennt in der Trotzphase des Kindes eine konstruktive, nach Lösungen suchende Auseinandersetzung mit seinen Empfindungen. Sei es Enttäuschung, Trauer oder Hilflosigkeit. Sei es das Gefühl 'Ich kann nichts tun.' oder 'Ich will aber etwas anderes und niemand versteht mich.' Im Alter zwischen 1 und 5 Jahren ist diese Auseinandersetzung besonders akut. In dieser Zeit durchläuft das Kind unzählige Lernprozesse. Nicht nur, dass sich immerfort neue Synapsen im Hirn verknüpfen und es neue körperliche Fähigkeiten entwickelt – wie zum Beispiel Ballwerfen, Klettern oder Balancieren. Es lernt auch, sich differenzierter auszudrücken und findet Worte und Sätze für das was es wahrnimmt und fühlt. Außerdem entwickelt es neue soziale Kompetenzen wie Mitgefühl, Rücksicht und etwas Teilen. Das bedeutet eine Flut neuer Möglichkeiten – und alle müssen unzählige Male wiederholt, nachgeahmt und geübt werden. Man kann sich vorstellen, dass es dabei oft Phasen von Überforderung geben kann. Übermüdung und Reizüberflutung aus einem übervollen Alltag tun dann vielleicht ihr Übriges...

Im Einüben neuer Fähigkeiten begegnet dem Kind immer wieder auch Frustration und Wut.

 

Das was es will, kann es noch nicht und das was es kann, will es noch nicht.

 

Alle Eltern kennen eine typische Situation, die aus diesem Konflikt entsteht: Das Kind rastet aus, wenn es sich die Schuhe oder Jacke selbst anziehen soll. Der Reißverschluss klemmt, der Schuh ist falschrum...und schon ist es um das eben noch fröhliche Kind geschehen! Es folgen Geschrei und Gezeter, rote Köpfe, Schweißausbrüche und Verzweiflung – auf beiden Seiten! Ganz schlimm wird es, wenn wir jetzt noch unter Zeitdruck stehen.

 

Oder der Klassiker: Ihr Kind sieht an der Supermarktkasse verlockende Süßigkeiten und will davon etwas haben. Weil Sie auf eine gesunde Ernährung wert legen, sagen Sie“Nein!“. Wenn Sie auch nach wiederholtem Betteln dabei bleiben, mutiert das Kind binnen kürzester Zeit zum tobenden Zwerg. Es liegt kreischend auf dem Boden und wälzt sich hin und her. In diesem Zustand ist es für kein Wort und für keine Geste mehr zu erreichen. Sein Wille ist mit Ihrem kollidiert. Die Ohnmacht, die es spürt, ist kaum auszuhalten.

 

Was Ihr Kind jetzt braucht

  • In erster Linie braucht es jetzt eine Mama und einen Papa, die ruhig bleiben. Jemand, der mit ruhiger Gelassenheit da ist und da bleibt, bis der Sturm vorbei ist. Lassen Sie, wenn irgend möglich, Ihrem Kind den Raum, den es braucht, seine Gefühle auszudrücken. Ja, es ist anstrengend! Ja, es kann Sie in peinliche Situationen bringen. Und ja, es wird sich alles mögliche an Widerstand, Hilflosigkeit und Moral in Ihnen regen – tun Sie's trotzdem. Bleiben Sie ruhig! Vielleicht lässt sich diese Gelegenheit sogar gut dazu nutzen, ihre eigenen Emotionen in diesem Zusammenhang kennenzulernen, zu beobachten und zu meistern.
  • Zeigen und signalisieren Sie Ihrem Kind, dass sie für es da sind und Zeit haben zuzuhören. Oft findet das Kind noch nicht die richtigen Worte für seine Empfindung. Sie können ihm dabei helfen und zum Beispiel sagen: „ Oh, ich sehe, du bist wütend. Kannst du mir sagen, was dich so ärgerlich gemacht hat?“ So schlagen Sie gleich drei Fliegen mit einer Klappe. Sie helfen Ihrem Kind, einen Namen für sein Gefühl zu finden, Sie sprechen es offen an und Sie helfen ihm, zu artikulieren was in ihm vorgeht. Das rettet es aus dem hilflosen Affekt.
  • Sobald Ihr Kind sich beruhigt hat, können Sie es trösten und in den Arm nehmen. Seien Sie sensibel darin, wann dafür der richtige Zeitpunkt ist. So kann sich Ihr Kind nach dem erschöpfenden Kampf wieder sicher und geborgen fühlen.
  • Da ein Kind während eines Wutanfalls seine Gefühle nicht steuern kann, macht es keinen Sinn, es dafür zu bestrafen.
  • Wenn der Wutanfall sich anbahnt, aber noch nicht eskaliert ist, kann ein Ablenkungsmanöver Wunder wirken. Eröffnen Sie einen anderen Schauplatz, fangen Sie an ein Lied zu singen, eine Frage zu stellen oder finden Sie schnell einen (anderen ) Gegenstand, der die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich zieht.
  • Sorgen Sie für genügend körperliche Auslastung. Lassen Sie Ihr Kind auf Sport-und Spielplätzen toben oder rennen mit ihm durch den Wald. Derart gesund ausgepowert hat es nicht mehr soviel Energie für einen Wutanfall.
  • Stellen Sie für Ihr Kind leicht verständliche Regeln auf, die Sie auch einhalten. Nichts ist für ein Kind irritierender, als Regeln, die von Launen abhängen. Bleiben Sie geduldig und konsequent.
  • Räumen Sie Ihrem Kind Entscheidungsmöglichkeiten ein. Zum Beispiel darf es zwischen dem roten und dem gelben Schal wählen. So fühlt es sich ernst genommen und kompetent. Ob jedoch überhaupt ein Schal angezogen wird, steht nicht zur Diskussion.
  • Geben Sie Ihrem Kind genügend Möglichkeiten, sich und seine Umwelt frei zu erkunden, wenn es entspannt ist. So muss es nicht zu einem Machtkampf kommen, wenn es sich an Regeln und Grenzen halten muss.
  • Helfen Sie Ihrem Kind, einen konstruktiveren Weg zu finden, seine Gefühle auszudrücken. Nennen Sie das Gefühl beim Namen, interessieren Sie sich für das was es fühlt und machen Sie ihm Vorschläge, wie man damit umgehen kann. Natürlich immer seinem Alter entsprechend und so einfach wie möglich.

 

Was Sie als Eltern jetzt brauchen

  • Nehmen Sie den Trotzanfall Ihres Kindes nicht persönlich. Machen Sie sich bewusst, dass es Sie nicht ärgern will, sondern im Augenblick hilflos einer Flut von Gefühlen ausgeliefert ist.
  • Gestalten Sie Ihren Alltag so, dass es genügend Zeitpuffer gibt. Falls es doch einmal einen Trotzanfall gibt, geraten Sie nicht in Stress.
  • Eignen Sie sich eine Methode an, mit der Sie mit einfachen Mitteln ruhig und gelassen bleiben können. Zählen Sie zum Beispiel von 10 rückwärts oder atmen Sie dreimal bewusst tief ein und aus oder stellen Sie sich die Farbe blau intensiv vor, bevor Sie auf Ihr Kind zugehen.
  • Ignorieren Sie Straßenpassanten und harsche oder gutgemeinte Ratschläge der Umstehenden. Bleiben Sie ganz bei sich und sagen Sie sich: „ Auch das geht vorüber.“
  • Gönnen Sie sich und Ihrem Kind nach einem Tobsuchtsanfall eine ruhige, entspannte Zeit, eine Kuschelrunde, ein sanftes Ritual. So können sich die Wogen auf beiden Seiten schnell wieder glätten.

 

Ein kleiner Ausblick

 

Was kann Gutes aus dieser Phase von Trotz und Widerstand entstehen?

Wenn Sie diese herausfordernde Zeit überstehen, werden Sie gestärkt daraus hervorgehen. Zwischen Ihnen und Ihrem Kind hat sich das Vertrauen und das Gefühl von Sicherheit vertieft. Es hat gelernt, dass es etwas nicht wollen und etwas nicht können darf, ohne verlassen zu werden. Es hat die Erfahrung von bedingungsloser Liebe gemacht. Ihr Kind konnte erfahren, dass es Grenzen gibt. Eigene und die von anderen. Es konnte lernen, seine Gefühle auszudrücken. Dazu war Ihre Geduld und Ihre Anleitung nötig.

 

Ihr Kind hat gelernt, dass es Regeln gibt. Und es gibt ihm Orientierung und Halt, dass die sich auch im Sturm nicht ändern. Es hat gelernt „Ich“ zu sagen und im nächsten Schritt „Ich will!'“ Damit ist es einen entscheidenden Schritt in die Individuation gegangen – hin zu sich selbst. Und das alles, weil Sie die Klarheit, die Gelassenheit und die Liebe hatten, es durch diese Zeit hindurch zu begleiten!

 

 

 

 

 

 

 

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