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In Frieden sein

In den letzten Wochen waren wir mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Einschränkungen konfrontiert, die uns allen Grund gaben, uns aufzuregen oder besorgt zu sein. Da mag es ruhige Gemüter geben, die das Ganze mit Gelassenheit betrachten und auch jene, die mit Zorn reagieren. Je nach Temperament und Tagesverfassung auch alle möglichen Regungen dazwischen. Gefühle von Angst oder Ohnmacht werden dieser Tage nicht gerade auf kleiner Flamme gekocht. Da ist die Frage nach Frieden eine echte Herausforderung. Ja fast schon eine Provokation!

In der Gesellschaft, im Freundeskreis, in der Familie und in den Social Media Foren schlagen die Wellen der Emotionen hoch. Es wird viel diskutiert, gestritten, bewiesen und befürchtet. Und allerlei Meinungsfronten versperren uns die Sicht. Es gibt Strukturen in uns, nennen wir sie mal Ego, die gerade voll auf ihre Kosten kommen. Jede Aufregung, sei sie positiv oder negativ, verbindet sich mit einem Gefühl von Lebendigkeit. Also richtet sich unsere Aufmerksamkeit gern auf das, was Aufregung verursacht.

Das kann man unter anderem auch daran sehen, welche Beiträge in den Social Media Foren die meisten 'Likes' oder Kommentare bekommen und welche wir mit vielen anderen teilen wollen. Die, die von Ungerechtigkeiten, Moral oder üblen Machenschaften erzählen oder die, die einen friedlichen Blick auf das Leben werfen? Wir ereifern uns gern, schlagen uns auf gegenüberliegende Seiten, klagen an und rufen auf. Wir rollen Gefühlen wie Angst, Rechthaberei oder Aggression so manchen breit getretenen Teppich aus und empfinden uns dabei als lebendig. So paradox das klingt! Der Preis dafür ist, dass wir uns damit einen Raum im Geist schaffen, aus dem heraus wir uns und das Leben betrachten. Auf die wiederholt gleiche, begrenzte Weise. Wir engen uns in einem Raum ein, der immer dieselben Antworten gibt, immer mehr Desselben will und nie satt wird. Dort haben wir eher Interesse daran, weiter unterhalten zu werden und mehr Aufregung zu schaffen. Weniger allerdings daran, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Dahin, wo Frieden ist.

 

Aber was bedeutet denn überhaupt 'In Frieden sein'?

Ist das ein bestimmtes Gefühl oder ein weiterer Raum, den wir betreten und wieder verlassen können?

Ist Frieden eine Haltung oder etwas, das wir erreichen können?

In Frieden SEIN deutet auf einen Seins-Zustand hin. Etwas, in dem wir sind.

In Frieden KOMMEN deutet hingegen eher auf eine Bewegung hin.

Ist Frieden nun etwas das ist oder etwas das werden muss?

Wenn wir nicht mehr in Frieden sind, wohin sind wir dann gegangen?

 

Regt uns etwas auf, fühlt sich das ja meist nicht nach einem friedvollen Zustand an. Wir sind dann 'außer' uns. Wir schauen nach außen hin und argumentieren bis zur Erschöpfung. Dabei geht unsere Aufmerksamkeit von uns selbst weg, zu etwas anderem hin. Zu einem Ereignis, einem Gedanken, einem Menschen, einem Gefühl, einem Umstand hin. Erst wenn wir uns damit verausgabt haben, entsteht der Eindruck, 'weg' von uns zu sein. Und mit diesem Eindruck beginnt dann auch der Wunsch, wieder zu uns 'zurück' zu kommen. Zu uns und in Frieden.

Doch was wie eine Reise nach 'außerhalb' aussieht, ist in Wahrheit nur eine Reise unserer Aufmerksamkeit. Wir selbst sind nirgendwohin gegangen. Wir haben es nur nicht bemerkt, weil unser Fokus auf etwas anderes gerichtet war. Auf dieses und jenes. Auf Unerhörtes und Wechselhaftes. Und auf das, was wir dem entgegen zu setzen haben. Auf das, was wir meinen und wollen. Unser Blick war auf das Werden gerichtet, nicht auf das Sein.

Also haben wir den Frieden nur vergessen, nicht verloren.

Heißt das nun, dass wir nur die Richtung unserer Aufmerksamkeit ändern brauchen, um wieder in Frieden zu sein, um wieder bei uns zu sein?

Ja.

Doch das klingt leichter, als es ist. Wir alle wissen, wie schwer es ist, in Frieden zu sein, wenn um uns herum Unfrieden ist. Tumult ist ansteckend. Egal in welcher Form.

Besonders wenn wir vehement gegen ein Unrecht angehen oder eine klärende Haltung zu etwas einnehmen wollen, kann es helfen, sich erst einmal zu vergegenwärtigen, dass wir uns in unserem Menschsein immer irren können und das es niemals möglich ist, das Ganze zu sehen. Auch das bedeutet, Achtung und Demut dem Leben gegenüber zu haben.

Und wenn es uns wichtig erscheint, ein Unrecht anzusprechen, können nur wir selbst beurteilen: Sprechen wir aus unserer Mitte oder sind wir in einer Welle von Gedanken und Emotionen verschwunden?

Vielleicht braucht es dazu zunächst vor allem Achtsamkeit für unseren inneren Raum. Denn nur hier können wir bemerken: Was beschäftigt uns? Welche Gedanken, welche Eindrücke kommen zu uns?

Was lassen wir in unseren Raum? Nährt das unsere Bereitschaft in Frieden zu sein oder nährt das unsere Bereitschaft in Aufregung zu sein? Am besten können wir das schon in sanften Zeiten üben, denn in den wilden ist es anfangs schwerer, den Blick dafür klar zu halten. Zum Beispiel können wir immer wieder darauf achten, womit wir unseren Geist füllen. Wie ist die Energie, die wir spüren, während wir dies sehen, lesen, hören, sagen? Wie ist unser Atem? Wie fühlt sich unser Körper gerade an? Ist unser Blick unruhig oder klar? Und hier geht es zunächst nur darum, uns selbst zu bemerken. Zu fühlen, zu empfinden, wahrzunehmen, was HIER passiert. Hier, wo ich BIN! Ganz von selbst entsteht daraus nach und nach eine Art Fürsorge für sich selbst. Denn das Leben, wenn wir es lassen, wird seiner Natur nach immer das Gute und Echte nähren.

 

Je nachdem, wo unser Fokus ist, können wir also in Frieden sein, auch wenn wir uns gerade kämpferisch gebärden oder Unfrieden in uns auftaucht. Auch wenn die See stürmt und wir drohen zu versinken. Die Frage ist immer: Wo ist unser Anker? Wohin sinkt unser Lot? Was ist der Boden, auf dem wir Zuhause sind?

 

So ist Frieden wohl kein Ziel, das wir erreichen können. Sondern etwas, das uns immer zugrunde liegt. Was wir erleben, hängt einzig davon ab, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.

 

Mahatma Gandhi hat das, wie ich finde, einmal ganz wundervoll gesagt:

 

Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Edward (Montag, 20 April 2020 08:54)

    Liebe Frauke,
    sehr schön, gefallen mir beide sehr gut! Ich hoffe dein Talent zu Schreiben bringt dir die Früchte postwendend und nicht erst posthum,also raus ans/ins Licht der Öffentlichkiet!
    herzliche Grüße Edward
    PS. Es gibt sicher sehr viele gute MAgazine, oder Zeitungen die deine Texte noch mehr verbreiten könnten, ich wünsche es dir von Herzen!

  • #2

    Frauke (Montag, 20 April 2020 13:07)

    Lieber Edward,
    danke für Deinen sonnigen Kommentar! Schöne Idee mit postwendend oder erst posthum. :-D
    Ich hab jetzt mal nachgeschlagen, was "während des Schreibens" auf Latein heißt: " per scripturam" .
    Das beschreibt den Zeitpunkt der Freude, also irgendwie auch den Zeitpunkt der Früchte des Schreibens für mich.
    Und umso schöner, wenn es postwendend auch andere hier erfreut.
    Zeitschriften und Magazine dürfen aber auch kommen. Ganz wie das Leben will.
    Alles Liebe Dir!

  • #3

    Markus (Montag, 20 April 2020 15:57)

    Ich habe heute einen sehr weisen Mann getroffen. Er war eher klein, dicklich und Zahntechniker. Er sagte zu Corona: "Es ist ein Problem der wohlhabenden Staaten. Diese Staaten sind so wohlhabend, die müssen sich ihre Probleme selbst schaffen."

    Ist Corona wirklich das Problem oder macht unser gemeinsames Ego es zu solch einem. Schaffen wir es nur noch so, uns wirklich lebendig zu fühlen ? Mir scheint unsere Gesellschaft immer noch in einem jugendlichen Stadium festzuhängen - Aufregung um jeden Preis.

    Wann werden wir gemeinsam er - wachsen - sein ?
    Wann werde ich erwachsen sein ?
    Wann werde ich bei Mir angekommen ?