Dass unsere Gedanken Einfluss auf unser tägliches Erleben haben, ist für die meisten Menschen nichts Unbekanntes mehr. Die Bewegung des 'Positiven Denkens' , therapeutische Methoden wie NLP (Neuro-Linguistische Programmierung), positive Tagesaffirmationen und andere Techniken gehören inzwischen fast zur Allgemeinbildung. Wir versuchen, düstere oder hemmende Gedanken mit Hilfe anderer Gedanken zu überwinden oder gar zu heilen. Wir wollen uns einfach besser fühlen und glücklich sein. Und so legen wir über einen dunklen Gedanken einfach einen hellen. Fertig.
Wirklich? Kann das auf diesem Weg gelingen? Kann ein Gedanke einen anderen heilen? Kann ein Gefangener einen anderen Gefangenen befreien? Das mag auf den ersten Blick eine ziemlich provokante Frage sein. Schauen wir uns das doch einmal genauer an.
Der Stoff aus dem Gedanken sind
Sicher sind wir uns darüber einig, dass Gedanken nicht stofflich sind. Man kann sie nicht anfassen und nicht sehen. Doch fühlen kann man sie schon. Um das zu überprüfen, machen wir hier mal ein kleines Experiment. Magst du?
Dann schließe, wenn du den Abschnitt fertig gelesen hast, deine Augen und denke an etwas sehr Unangenehmes aus deiner Vergangenheit. Eine beängstigende oder peinliche Situation zum Beispiel. Gehe in Gedanken in diese Situation zurück. Sieh die Bilder, höre die Worte, falls welche gesprochen wurden, nimm die Geräusche und Gerüche wahr. Sei für einen kurzen Augenblick ganz in dieser alten Situation. Mach es wirklich. Lass dich mal für einen Moment darauf ein.
Und jetzt nimm aufmerksam deinen Körper wahr. Was machen deine Schultern? Was passiert in deinem Gesicht? Was macht dein Mund? Wie verändert sich dein Atem? Wie bewegen sich die Augen hinter den Augenlidern? Verändert sich dein Herzschlag? Spüre für eine kurze Weile in all die Reaktionen deines Körpers hinein. Und dann öffne wieder deine Augen. Was hast du wahrgenommen?
Der Gedanke an etwas löst Gefühle und körperliche Reaktionen aus. Richtig?
Probiere das Ganze jetzt noch einmal mit einer glücklichen Situation in deiner Vergangenheit. Etwas, dass du als freudvoll, ausgelassen und befriedigend erlebt hast. Schließe deine Augen und gehe auch in diese Situation. Was passiert? Wie fühlst du dich? Wie verändern sich deine körperlichen Empfindungen. Lächelst du?
Wenn du dieses Experiment wirklich gemacht hast – praktische Erfahrungen sind immer die eindrücklichsten – dann wirst du bemerkt haben, dass etwas das nicht stofflich ist, in dem Fall Gedanken, durchaus fühlbare körperliche Reaktionen auslösen kann.
Das Experiment kann dir aber auch noch etwas anderes bewusst machen. Während du diese Empfindungen hattest, warst du ganz nüchtern betrachtet, weder in der einen, noch in der anderen Situation. Ich meine wirklich. Weder in der beängstigenden, noch in der beglückenden. Du hast sie dir nur VOR-gestellt. Man könnte auch sagen, du hast sie vor deine tatsächliche Situation gestellt. Denn im Augenblick der Übung hast du ja da gesessen, wo du sitzt und einfach die Augen geschlossen. Die Situation war also nicht wirklich da.
Das ist die Macht der Gedanken. Sie können sich VOR etwas anderes – nämlich den tatsächlichen Augenblick – stellen und Reaktionen auslösen. Während du hier sitzt, ist dein Geist wo ganz anders.
Doch ist der Ort wo du dann bist die Wirklichkeit? Ich meine jetzt. Ist es jetzt Wirklichkeit?
Vergangenheit und Zukunft
In der Übung hast du erlebt, wie dein Geist in die Vergangenheit gereist ist. Das ist das, was in unserem Alltag am häufigsten passiert. Für die meisten von uns geschieht das jedoch unbewusst. Aus dem Speicher alter Erfahrungen strömen unentwegt Erinnerungen hervor. In Bildern, in Wortfetzen, in Farben und Sinneswahrnehmungen. Jeder kennt zum Beispiel das Gefühl, das ein bestimmter Geruch aus der Kindheit – nehmen wir hier mal einen angenehmen – sofort wohlige Gefühle und Glücksempfindungen auslösen kann. Die Geruchserinnerung ist im Hirnstamm angesiedelt und zählt zu den ältesten und ursprünglichsten Erinnerungen. Sie kann Empfindungen von Geborgenheit und Wärme auslösen, auch wenn wir ganz objektiv betrachtet nicht in einer solchen Situation sind.
Umgekehrt ist es auch mit den unangenehmen Erinnerungen im Speicher. Sie fühlen sich dann genauso real an, wie die ursprüngliche Situation.
Auslöser können nicht nur Gerüche sein. Auch Gesten, eine bestimmte Mimik, ein bestimmtes Geräusch, bestimmte Worte und Ereignisse können (alte) Reaktionen hervorbringen. Sie legen sich in Windeseile über die tatsächliche und augenblickliche Situation. Wie ein Filter oder eine 'Brille'. Und das was wir dann wahrnehmen, ist nicht mehr der Augenblick, sondern das, was ihn 'einfärbt' oder vernebelt. In diesem Nebel sind nun auch alle mit der alten Situation in Zusammenhang stehenden Gedanken, Meinungen, Befürchtungen, Hoffnungen und Schlussfolgerungen enthalten. Es ist sozusagen eine 'Wolke' der Erinnerung, die sich, ohne das wir es bemerken, vor die Gegenwart geschoben hat. Im Augenblick, wo die 'Wolke' unser Gewahrsein vernebelt, ist unsere Sicht getrübt und wir haben nicht mehr am Leben teil. Denn die Gegenwart ist das einzige, was wirklich lebt.
Auf Aktion folgt Reaktion
Doch was passiert denn, wenn wir nicht lebendig sind, wenn wir gar nicht HIER sind? Fakt ist, dass wir dann aus dem reagieren, was wir zu 'sehen' meinen. So fühlen wir uns zum Beispiel nicht gesehen, ausgenutzt oder wertlos. Oder wir fühlen uns angegriffen oder ohnmächtig oder schuldig. Und unser (oft ahnungsloses) Gegenüber kriegt das zu spüren. Wir schmettern ihm unsere Abwehr entgegen. Oder unsere Depression, unsere Angst. Auf den Auslöser folgt eine Reaktion. Das passiert schnell, allzu oft völlig unbemerkt von unserem Geist und unabhängig von der tatsächlichen Lage. Wir sind den Gedanken aus der Vergangenheit auf den Leim gegangen. Wir leben in Unfrieden mit uns selbst und anderen und re-produzieren auf diese Weise unsere Vergangenheit jedesmal 'neu'. So ist es auch zu verstehen, dass wir erleben, was wir denken. Unser Verstand hat uns eine Brille aufgesetzt. Und die sitzt oft fest. Es sei denn, wir schauen eines Tages wirklich hindurch und weisen dem Verstand wieder seinen natürlichen Platz.
Ebenso geschieht das mit Gedanken an die Zukunft. Wir stellen uns dieses und jenes vor, was passieren könnte oder sollte und bemerken nicht einmal, dass all diese Vorstellungen aus Erfahrungen der Vergangenheit gespeist sind. Von Gestern, aus dem letzten Jahr, aus der Kindheit....aus diesem oder aus anderen Leben.
Doch mal ganz ehrlich: wer weiß wirklich, was im nächsten Augenblick passiert? Was der nächste Atemzug bringt, die nächste Stunde, der nächste Tag?
Der Verstand, der alte Fuchs, versucht uns immer wieder vorzumachen, dass er das wüsste. Er versucht uns Sicherheiten vorzugaukeln. Selbst Dramen sind für ihn 'Sicherheiten'. Die Sicherheiten alter Erfahrungen. Doch die alten Erfahrungen sind längst vorbei. Sie leben nicht mehr. Fakt ist also, dass der Verstand es nicht weiß. Er kennt sich gar nicht aus mit diesem Moment – dem einzigen der wirklich lebendig und neu ist. Er hat auch keine Kontrolle darüber. Weder über das Leben, noch über das was geschieht. Jeder hat das schon einmal erfahren. Zum Beispiel wenn ein geliebter Mensch plötzlich verstorben ist, ein Unglück hereinbricht oder wir plötzlich der großen Liebe begegnen. Nichts davon war für unseren Verstand vorhersehbar. Nicht der Zeitpunkt und nicht die Umstände. Das zu erkennen, kann einen an die Schwelle tiefer Angst führen – oder dahin, demütig zu werden sich vertrauensvoll in Gottes Hände fallen zu lassen.
Wir kennen den nächsten Augenblick nicht. Nicht seine Frische. Nicht das Unmittelbare und Lebendige. Denn alles was wir 'kennen', ist alt.
Allein das zu erfassen, kann uns aus der Gefangenschaft und vermeintlichen 'Herrschaft' der Gedanken lösen. Es kann uns befreien. Wirklich.
Den Mechanismus sehen
Den Vorgang des Denkens zu durchschauen, kann also ein erster guter Schritt zur Klärung sein. Um sich aber eines Tages auch aus seiner zwingenden Kraft befreien zu können, ist es hilfreich, bestimmte kleine Übungen zu praktizieren.
Die erste Übung die ich hier vorstellen möchte, habe ich von meinen Lehrern Eva Maria Tinschert und Frank Huber gelernt und mir immer wieder auch weitere Anregungen aus den Büchern von Barry Long dazu geholt.
Es ist die Übung des Gedanken-Beobachtens.
Man tut das am besten ganz wie ein Forscher, der sich keine Meinung bildet, über das was er sieht, sondern nur 'notiert'. Man stellt einfach fest und ist Zeuge des Vorgangs. Nicht mehr. Denn wenn man etwas wach und neutral beobachtet und sich nicht einmischt, kann man den Mechanismus einer Sache und die Gesetzmäßigkeit, nach der sie funktioniert, gut erkennen. Etwas was man auf diese Weise betrachtet, verliert bald an Bedrohung und Verselbstständigung. Zu erkennen, dass der Mechanismus des Denkens etwas Vorhersehbares ist, also nichts Lebendiges, öffnet die Tür zu einem anderen Bewusstsein. Daraus geschieht Veränderung. Von selbst.
Im Alltag kann man diese Übung folgendermaßen praktizieren:
Während man kocht oder spazieren geht oder aufräumt – am Anfang ist es besser, wenn man bei dieser Übung allein ist – richtet man den Fokus der Aufmerksamkeit mal nicht auf das äußere Tun, sondern auf die inneren Vorgänge dabei. Wie fließt mein Atem, wie fühlen sich meine Füße an, wie ist meine Körperspannung...?
Im nächsten Schritt richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Gedanken, die in uns auftauchen. Das können banale, zusammenhanglose Dinge sein, abstrakte Sprünge, Einfälle, Düsteres, Alltägliches...was auch immer. Die Kunst dabei ist, nur den Vorgang des Auf – und Abtauchens zu betrachten, NICHT dem Inhalt zu folgen. Ich sage es gleich: Das braucht einige Übung! Wenn wir dem Inhalt des Gedankens doch einmal auf den Leim gegangen sind, 'rollen' wir die Gedankenschnur, die oft eine Kette aus Assoziationen ist, einfach wieder zurück. Schritt für Schritt. Beispiel: Ich stehe am Küchentisch und schnippele Gemüse, Tomaten. Es taucht der Gedanke auf, dass die ja alle so wässrig sind und gar nicht mehr aromatisch schmecken. Damals in Italien, das waren Tomaten! Herrlich sonnengereift und erst das Olivenöl dazu! Da saßen wir doch in diesem hübschen Café in Florenz und danach waren wir in dieser tollen Ausstellung von Botticelli und überhaupt die Farben da! Das Licht und all der Genuss...das fehlt mir. Ich brauche auch mal wieder mehr Farben hier...ich könnte eigentlich mal wieder malen...hab ich überhaupt noch Leinwände....da muss ich mal im Keller nachschauen....der muss übrigens auch mal wieder aufgeräumt werden.... undsoweiterundsofort. Schwupps! Waren wir weg vom Tomatenschneiden beim Kelleraufräumen.
Die Gedankenschnur zurückrollen bedeutet jetzt, die Assoziationskette rückwärts zu gehen. Keller, Leinwand, malen, Farben, Genuss, Italien, Tomaten, ich stehe hier und schnippele. Achso, ich stehe hier!
Diese Übung kann man machen, so oft es einem einfällt. Für den Anfang empfehle ich es bei Alltagstätigkeiten und eher allein, da dann die Aufmerksamkeit noch nicht allzu sehr herausgefordert ist. Später ist das natürlich auch auf schwerwiegendere Gedankenketten anwendbar. Allen gleich ist, dass man erkennen kann, das Denken mechanisch geschieht, bestimmten Abläufen folgt und immer aus der Vergangenheit gespeist ist. Schon das bloße Beobachten dessen, kann etwas anderes, ein größeres Bewusstsein erkennen lassen. Und es bringt uns zurück zum Augenblick! Du kannst dich während dieser Übung auch einmal fragen, wer oder was die Instanz ist, die jeden Gedanken kommen und gehen sieht und dennoch unberührt davon bleibt. Wer oder was ist es, das sich allem was geschieht bewusst ist? Hinter aller Bewegung, hinter allem Tumult: wer oder was sieht?
Wenn wir uns nicht mehr mit dem unablässigen Gedankenstrom identifizieren, sondern es als reinen Vorgang betrachten, egal
welchen Inhalts, wird Freiheit möglich. Und damit Heilung. Stille. Wirklicher Frieden.
Hinterfrage es
Wie wir oben schon festgestellt haben, löst jeder Gedanke auch ein Gefühl aus. Oft bemerken wir das gar nicht, weil dieser Vorgang so schnell geschieht.
Und um nicht fortwährend in einer ausgedachten Welt zu leben, fest an der Kandare unserer Gedanken und den daraus folgenden Empfindungen und Reaktionen, gibt es eine weitere Übung, die ich sehr empfehlen kann. Die der Gedanken- Überprüfung.
„The Work“ von Byron Katie. Wer mag, kann sich eines ihrer Bücher einmal ausführlich zu Gemüte führen. Ich kann es als praktisches Handwerkszeug auf dem inneren Weg sehr empfehlen! In Kürze möchte ich diese Methode hier vorstellen.
Byron Katie spricht von vier Fragen, die dein Leben verändern können. Diese vier Fragen können entscheidend helfen, Licht in das Dunkel unserer festen Überzeugungen bringen.
Nimm einfach einen festen Glaubenssatz, der dich im Moment sehr quält oder der immer wieder in deinem Geist auftaucht. Auch wenn dir nicht bewusst sein sollte, dass es „nur“ eine feste Überzeugung ist, wende die Methode einfach auf etwas an, das du oft und wiederholt denkst oder einen Satz, der deine Sicht auf die Welt prägt. Das könnte soetwas sein wie: „ Ich (oder jemand anderes) sollte nicht soviel herumjammern, ein bisschen Härte hat noch keinem geschadet.“ Oder „ Ich komme aus dieser misslichen Lage nie wieder raus, weil ich sowieso verdammt bin.“ Oder „ Ich will frei sein, aber meine Situation hindert mich daran.“ Oder „ Die Menschen sollten liebevoller miteinander sein und ich leide fürchterlich darunter, das es nicht so ist.“ Welchen Satz auch immer du wählst, er kann schwerwiegend sein oder einem Alltagsfrust entspringen. Überprüfe ihn mal mit dieser Methode. Am besten tu das schriftlich. So kannst du dich besser konzentrieren und gibst dir die Chance, deinen Gedanken wirklich auf den Grund zu gehen.
Schreibe den Glaubenssatz ganz oben auf dein Blatt Papier.
Dann formuliere als nächstes die erste Frage:
- Ist das (dieser obige Glaubenssatz) wahr?
Unter diese Frage schreibe deine Antwort dazu. Kurz und knapp oder ausführlich. Ganz wie es kommt.
Dann schreibe die nächste Frage auf:
- Kann ich wirklich wissen, das (dieser obige Satz) wahr ist?
Antworte dir schriftlich auf diese Frage.
Als nächstes frage dich:
- Wie reagiere ich, wie fühle ich mich, wenn ich den obigen Satz glaube. Wie behandle ich mich und andere dann?
Schreibe genau auf, wie es sich für dich anfühlt, was du tust, was du lässt und wie du mit dir und anderen umgehst, wenn du den obigen Satz glaubst. Sei so ehrlich und ausführlich wie möglich.
Und dann frage dich zuletzt:
- Wie würde ich mich ohne diesen obigen Gedanken fühlen? Wie würde ich mit mir, mit anderen und der Situation umgehen ohne diesen obigen Gedanken?
Schreib es genau auf. Wie wäre das?
Und zum Schluss finde eine Aussage, die deinen obigen Satz einfach umkehrt und trotzdem wahr sein könnte.
Zum Beispiel: „ Es ist okay, manchmal auch zu jammern, weil das meine innere Härte aufweicht.“
Lass das Geschriebene ganz in Ruhe auf dich wirken. Sieh, welche Möglichkeiten, welche Türen es in deinem Geist öffnet, deine Gedanken und Überzeugungen zu hinterfragen.
Last but not least kann ich dir noch ein weiteres und wie ich finde wesentliches Mittel als tägliche Praxis inneren Gewahrseins empfehlen. Meditation.
Genaueres dazu erfährst du in meinem Blogartikel 'Meditation als Übung' hier:
https://www.frauke-banz.de/2018/05/05/meditation/
Und hier gibt es konkrete Anleitung in einer geführten Meditation:
https://www.youtube.com/watch?v=ZdLZNE_EGBk
Ich wünsche dir nun viel Entdeckerfreude und Forschergeist beim Ausprobieren dieser Tipps. Komm gut nach Hause, zu dir selbst. Jenseits aller Gedanken!
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